Basel, ein Zentrum für die pharmazeutische Industrie in Europa und ein Hot Spot für Veränderungen in der Biotechnologie und Medizin. In diesem Monat gaben sich die Branchen, die hinter und vor dem Wandel im Gesundheitssystem in Europa stehen, die Klinken in die Hand. Es begann mit dem BioTechx Europe 2024 Messe, die von KI in der Arzneimittelentwicklung, über Chemieinformatik und digitaler Transformation bis hin zu Datenintegration, Bioinformatik mit neuen Ideen und Technologien aufwartete. Die Messe präsentierte Produkte, Dienstleistungen und neueste Erkenntnisse u.a. in Bereichen Companion-Diagnostik, Bevölkerungsgenomik und vieles mehr. Zu den Sponsoren und Referenten gehören neben IT-Unternehmen auch die großen Unternehmen der Pharmaindustrie. Die Pharmaunternehmen, die gleich danach auch auf dem DGHO 2024, der gemeinsamen Jahrestagung der deutschsprachigen Fachgesellschaften für Hämatologie und Onkologie, mit den Ärzten über Innovationen und KI in der Medizin diskutierten.
Jahrestagung: Hämatologie und medizinische Onkologie 2024 in Basel
Die Jahrestagung der deutschsprachigen Fachgesellschaften für Hämatologie und Onkologie konnten auch in diesem Jahr wieder rund 5.000 Expertinnen und Experten aus Medizin, Pflege und Gesundheitspolitik begrüßen. Mit 737 wissenschaftlichen Beiträgen und 1.300 Präsentationen im Rahmen von Vorträgen und Posterdiskussionen konnte sich das Wissenschafts- und Fortbildungsprogramm der Jahrestagung der DGHO, OeGHO, SGMO und SGH auch in diesem Jahr wieder sehen lassen.
Und: Nichts kann einen persönlichen, interdisziplinären und interprofessionellen Erfahrungsaustausch unter Expert:innen ersetzen. Das hat uns Corona gezeigt. Während der Pandemie fand die gemeinsame Jahrestagung virtuell statt – die ungezwungenen Begegnungen jenseits des Programmes fehlten. Umso bewusster konnten die Teilnehmenden wieder das Präsenztreffen genießen. Zwar hat Corona der Digitalisierung einen Boom beschert, aber es wurde auch deutlich, was alles auf der Strecke bleibt, wenn eine Jahrestagung rein digital bleibt. Digital geht fast alles – aber es ist eben nicht dasselbe.
So ähnlich ist es auch mit der künstlichen Intelligenz. In den letzten Jahren war der Wissenszuwachs in der Diagnostik und Therapie der Blut- und Krebserkrankungen enorm. Hinzu kommt der demographische Wandel, der uns immer mehr immer ältere Patient:innen mit immer mehr Begleiterkrankungen schenkt. Polypharmazie, Multimorbidität, personalisierte Medizin, komplexe Diagnostik, vielfältige Innovationen – die Behandlung von Krebspatient:innen wird immer komplexer, die Behandlungsentscheidung hängt von vielen Faktoren ab. Hier könnte eventuell künstliche Intelligenz hilfreich sein, indem sie Ergebnisse der Diagnostik, Arzneimittelinteraktionen und daraus abzuleitende, evidenzbasierte Therapieoptionen sowie deren potentielle Bedeutung für diesen speziellen Patienten anschaulich darstellen kann. Im Vorfeld und bei der Durchführung der partizipativen Entscheidungsfindung könnte KI unterstützend sein für die vertrauensvollen persönlichen Gespräche. Mit anschaulich dargestellten Daten könnten ggf. informierte Entscheidungen erleichtert, nicht jedoch ersetzt werden. Die immer rarer werdenden Ärzte und Ärztinnen könnten ihre Zeit den Patient:innen widmen und die KI könnte Aufgaben wie das Schreiben der Arztbriefe übernehmen. Zudem könnte die KI einen Beitrag zur ganzheitlichen Behandlung leisten, indem sie auch Daten der Komplementär-, Alternativ- und Ernährungsmedizin in Therapiekonzepte einfließen läßt. Das könnte ein Weg hin zu einer ganzheitlicheren Medizin werden, der so beschritten wird. Es ist z.B. nicht neu, dass Bewegung, gesunde Ernährung aber eben auch das soziale Umfeld neben Medikamenten eine entscheidende Rolle bei Genesung spielen.
Das Leben in einem Familienverband, in einem sozialen Netz hat Auswirkungen auf die Compliance, auf die Psyche und den (Über-)Lebenswillen und auch darauf, ob der/die Kranke in eine betreute Einrichtung muss, oder weiter im gewohnten Umfeld bleiben kann. Komplexe Zusammenhänge könnten mit Hilfe künstlicher Intelligenz zukünftig transparenter werden und zu ganzheitlicheren Therapieansätzen führen. Das wäre wünschenwert.
Prof. Dr. med. Jakob Nikolas Kather, Professor für Künstliche Intelligenz in der Medizin an der Medizinischen und Informatikfakultät der Technischen Universität Dresden und Vorsitzender des DGHO Arbeitskriese „Künstliche Intelligenz in der Hämatologie und Onkologie“ betonte die Chancen, die KI in der Forschung mit den kontinuierlich wachsenden Datenmengen, aber auch bei der Auswertung in der Forschung und Evaluation von diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten bieten könnten. Gleichzeitig hob er auch hervor, dass im Zentrum der Versorgung die Beziehung jedes einzelnen Patienten zum ärztlichen und pflegerischen Personal stehen sollte und nicht eine Kommunikation per KI. Zudem wies er darauf hin, dass künstliche Intelligenz zur Automatisierung von Arbeitsabläufen und so zur effizienteren Gestaltung von zeitaufwändigen Aufgaben im klinischen Alltag beitragen könnte. Das Wort „Prozessoptimierung“ fiel in diesem Zusammenhang.
Dabei musste ich an meinen ersten Besuch bei der Health 2.0 im Silicon Valley 2014 denken. Damals wurden neue Technologien diskutiert, die jetzt 2024, zum klinischen Alltag gehören – Kontrolle des Blutzuckers mittels Smartphone-App – damals war es Zukunftsmusik – heute ist das möglich. Andere damals vorgestellte Technologien, die tatsächlich zur Prozessoptimierung im Krankenhausalltag hätten beitragen können, verlangen nach einer entsprechenden digitalen Infrastruktur und die lässt in Deutschland bekanntlich auf sich warten. Selbst in der Hauptstadt Berlin und im direkten Speckgürtel ist Glasfaser keine Selbstverständlichkeit und Stromausfälle passieren. Unsere Infrastruktur muss mit KI und anderen Technologien Schritt halten bzw. diesen einen Schritt voraus sein. Das ist derzeit keinesfalls der Fall. Während ich in Spanien selbst im letzten Winkel Internet empfangen und telefonieren kann, bin ich da in Brandenburg manchmal aufgeschmissen – Deutschland ist ein digitales Entwicklungsland. Ohne Digitalisierung aber keine KI im Gesundheitswesen.
KI braucht aber noch mehr als „nur“ digitale Infrastruktur – sie braucht Energie und sie ist durstig (2304.03271). Die kostbare Ressource Wasser ist auch für sie lebenswichtig (u.a. zur Kühlung).
Wenn wir uns also das Gesamtbild ansehen, dann muss der erste Schritt – die Modernisierung der digitalen Infrastruktur heute erfolgen, damit übermorgen KI im Gesundheitswesen wirklich funktionieren kann. Unser Netz muss für den erhöhten Strombedarf ausgelegt sein – plus erhöhtem Strombedarf für e-Mobilität usw. Derzeit sind unsere Stromnetze ebenfalls nicht ausgelegt für die Anforderungen der Zukunft. Wenn Deutschland nicht nachbessert, wird es also nichts – weder mit e-Mobilität noch mit KI in Industrie, Forschung und Medizin.
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